Neureichs Annalen

Ich sehe ihn des öfteren im Supermarkt. Dort, wo ich meine Getränke kaufe, denn man ist dort gut sortiert. Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, fällt mir ein, wann er mir das erste Mal auffiel. Kurz nach der Einführung des Euro machte ich per Pkw eine Reise ins Vereinigte Königreich. Schon die Fahrt von Deutschland durch Belgien zur Fähre nach Frankreich war, verglichen zu früher, ein Segen. Keine Geldwechselei und vergleichbare Preise. Fein! An der Supermarktkasse fiel er mir dann das erste Mal auf. Nicht nur optisch ein Genuß, nein, wegen schlauer Reden gegen den Euro zunächst besonders deshalb auffällig, weil stauverursachend! Ein Mann in den "besten Jahren“, gekleidet in Ballonseide, oh Wunder kein Schnäuzer, braune Lederslipper an den Füßen, Männerhandtäschchen sowie ein schlichtes Weib an der Seite, gekrönt mit einer Frisur, wie sie Puppen tragen, die ihr Dasein in Altenheimen fristen. Er fabulierte über den Euro, der ja alles so viel teurer gemacht habe. Binnen Jahresfrist, so die Weisheit aus der Ballonseide, gäbe es die D-Mark zurück. Alternativ könnten wir bis dahin auch verhungert sein oder ein kleiner Mann mit Schnäuzer würde es mal wieder richten müssen.

So weit, so schlecht, solche Begegnungen hat ja jeder einmal. Und zum Glück auch schnell vergessen! Nicht so diese, denn einige Wochen später, gleicher Stau, gleiche Kasse, gleiche Reden! So zieht es sich durch die Jahre, kaum meint man ihn vergessen zu haben, schon taucht der Mann wieder auf: gleicher Stau, gleiche Kasse, gleiche Reden! Keine Rede mehr vom verhungern, nun müssen des Euros wegen gar schon Deutsche klauen...! Und so weiter!

Der 10te 10te war der Tag der Abrechnung. Gutgelaunt stapele ich die vollen Getränkekisten in den offenen Zweisitzer. Gleich nebenan verparkt recht umständlich ein in Ballonseide gekleideter Mann die beige C-Klasse. Nach getaner Arbeit steigt er aus und beäugt linkisch mein Tun, während die Puppenfrisur steif daneben steht (offenbar gerade in den Stand-by-Modus abgedriftet). "Junger Mann“, so fragt er mit fester Stimme und zeigt auf meinen leeren Einkaufswagen, "ist da´n Euro drinne?“ Mir fällt kurz auf, daß die Ballonseide nahezu an aktuelle Modefarben angepaßt wurde, und rufe laut und freundlich "Freilich!“, schiebe den Wagen mit großer Geste herüber und kassiere seinen Euro. Zufrieden stapft er mit dem Wagen ab, das Weib in zwei Meter Abstand folgend! "Yeah“, denkt sich Herr Neureich, "jetzt endlich hat er seine D-Mark zurück!".

Auch wenn´s meine letzte Ein-Mark-Einkaufswagenmünze war!

Schade, Herr Hinzkunzki, schon wieder vom Euro beschissen worden!!!